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Jan Schirrmachers Web

Leben mit der Wildnis der schwedischen Ostschären 2018

Ankunft Magnify
Ankunft in Fyrudden (Gryt)
Schäre Magnify
Klippen unserer Zielinsel

Dieses Jahr bin ich in den Schären an der Südost-Küste Schwedens unterwegs, diesmal mit meiner kleinen Tochter Anna (12). Wir haben Seekajaks auf dem Dach unseres roten Busses mitgenommen. Auf den Pritschen im Bus können wir unterwegs schlafen. Auf der unbewohnten Insel, die wir für die Dauer von 2 Wochen bewohnen wollen, schlafen wir im Zelt. Die meisten Vorräte haben wir von zuhause mitgebracht, sie sind rationiert. Nur Trinkwasser ist reichlich bemessen, wir haben 10 Liter Reserve pro Woche.

Nach der Ankunft in Gryt (Fyrudden) um die Mittagszeit des 8.7.2018 packen wir die Kajaks und fahren 8 km in ca. 2 Stunden bis zu unserem Ziel, einer Schäre mittlerer Größe recht weit draussen zum Meer. Alleine schaffe ich normalerweise bei 4kn ca. 7km/Stunde. Wir machen aber eine Badepause und ich schleppe Klein-Anna, weil ihr das Kajak eigentlich zu groß ist.

Lest auch meinen Bericht von 2016.

Anna
Anna im Kajak

Der Sommer 2018

Hitze Magnify
Vertrocknete Vegetation

Dieser Sommer wird wohl der längste, heißeste und trockenste Sommer seit ich denken kann. Im Moment da ich dies schreibe (23. Juli) ist noch keine Abkühlung in Sicht. Schweden ist besonders betroffen. Ich erinnere mich aus der Vergangenheit, dass oft im August viele Birken bereits ihre braunen Blätter abwerfen, wenn ihr Standort zu trocken ist. Die Schärenvegetation kennt lange Trockenheiten und hält noch eine Weile durch, die Kulturlandschaft leidet aber stark.

Zur Halbzeit unseres Aufenthaltes kehren wir aus der Wildnis zurück, um die Vorräte an Obst zu ergänzen. Bananen und Äpfel haben sich bewährt, sie halten eine Woche durch. Ich packe sie in eine Thermotasche und diese unter eine Plane in einer schattigen Stelle am Erdboden neben dem Zelt. Sogar die H-Milch übersteht die Hitze. Doch ich schweife ab - wir kehren also zurück in die Zivilisation und fahren nach Norrköping. Dort herrschen 34°. Wir sehen im klimatisierten McDonalds zufällig das Fußball-WM-Endspiel. Hier kann Anna neue Folgen der "Drei Fragezeichen" von Spotify tanken und wir blödeln etwas auf WhatsApp. Nach einer Woche nehme ich die Vorzüge der Zivilisation mit geschärften Sinnen wahr - Asphalt, Klimaanlagen, Menschen, Supermärkte und der schreckliche Schnellimbiss - schöööön.

Grüne Hölle Magnify
Sattes Grün im sumpfigen Inselinneren

Zurück in den Schären und insbesondere den äußeren sind die Temperaturen erträglicher als im Binnenland, weil meistens ein wassergekühlter Wind von 3 Beaufort weht. In der ersten Woche gehen wir in windstille Ecken der Felsen, um uns in der Sonne zu wärmen. In der zweiten, heißeren Woche suchen wir eher die windigen Stellen, da die Felsen Hitze abstrahlen. Auf braunen und schwarzen Felsen wird der barfüßige Aufenthalt schwierig.

Die Erika der häufigen Heideflächen ist tiefbraun vertrocknet. Viele Birken haben ihr Laub abgeworfen. Es steht aber noch Wasser in den größeren Felstümpeln. Das Inselinnere ist sogar noch von frischem Grün belebt.

Auf dem Rückweg vom Schweden, fahren wir auf der E4 am Vättern entlang. Es begegnen uns Kolonnen von Feuerwehrfahrzeugen. Ich lese "Straż Pożarna". Es ist die polnische Feuerwehr, die vermutlich den Schweden zu Hilfe eilen. Wir haben von der katastrophalen Trockenheit und großen Bränden gehört.

Leben mit der Wildnis

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Insektenvielfalt

Fliegen Magnify
Fliegenarten auf einer Doldenblüte

Mich erstaunt immer wieder die Vielfalt der Insektenwelt auf den Schären. Wir haben ein Bestimmungsbuch mitgenommen in dem wir viel lesen.

Käfer
Rosenkäfer

Es gibt viele Fliegen-, Wespen-, Ameisen-, Käfer- und Libellenarten. Besonders die vielen Schwebfliegenarten fallen mir auf. Viele von Ihnen haben eine wespenähnliche Zeichnung.

Überall gibt es Ameisen in allen Größen. Unangenehm sind sie nur im Zelt, wenn sie nachts zwicken und zwacken. Zur Dämmerung kommen auch viele Asseln heraus und kriechen über das Unterzelt. Ich weiß nicht wie sie ins Zelt gelangen, aber ab und zu muss ich einige von Ihnen hinauskomplimentieren.

Wanze
Streifenwanze

Ich kriege den ganzen Urlaub keinen Mückenstich ab. Das liegt daran, dass diese durch die große Trockenheit zu wenig Brutplätze hatten und daran dass Klein-Annas Blut frischer riecht - sie bekommt einige Stiche ab.

Vorgewarnt waren wir vor den Zecken, die in diesem Teil Schwedens gefährliche Krankheiten übertragen. Das mitgeführte Autan benötigen wir nur einmal prophylaktisch, als wir eine Expedition ins Inselinnere machen.

Insgesamt bereiten die Kerfen mehr Freude als Verdruss. Ab und zu mal eine vertrottelte Bremse abklatschen, das wars eigentlich. Ich lebe hier in dem Bewußtsein in ihrem Reich ein Gast zu sein und respektiere die kleinen Kerlchen entsprechend.

Hochel

Iltis Magnify
"Hochel" mit Nachwuchs

Fast täglich trampelt ein Iltis durch unser Frühstückslager auf seiner täglichen Runde durchs Revier. Es ist die nördlichste Region des Verbreitungsgebietes des Waldiltis, aber man sieht ihn häufig auf den Inseln, meistens wenn er am Ufer nach angeschwemmten Fischchen stöbert.

Es fehlt die helle "Maske" der Iltisse. Die hiesige Rasse ist braun mit schwarzer Schwanzspitze.

Unseren nenne in "Hochel" und wir sehen ihn oft an den Küstenstreifen in der Nähe unseres Zeltes. Er ist tagaktiv und nicht scheu. Sein Sicherheitsabstand beträgt nur einen Meter, aber wir bedrängen ihn nicht. Er bewegt sich stets flink und rastlos wenn er die Leeküsten absucht. An der jeweiligen Leeküste befinden sich die frisch angespülten Fischchen und andere Kadaver, die er mit seiner feinen Nase im Tang aufstöbert.

Einmal beobachte ich ihn, wie er einige Meter hinaus aufs Meer schwimmt, taucht und mit einem recht großen Fisch im Maul wieder auftaucht! Statt den Fisch am sicheren Ufer zu verspeisen, schleppt er ihn weg. Daraus schließe ich, dass er Junge hat. Vermutlich ist Hochel weiblich, weil er sich um Nachwuchs kümmert.

Hochel sucht Fischlein

Ein anderes Mal höre ich nachts einen tierischen Schrei aus der Nähe, der vom dem Iltis stammen könnte. Er wird aus einiger Ferne beantwortet. Danach sehen wir Hochel mehrere Tage nicht mehr. Wir machen uns Sorgen. Eines Tages sitze ich morgens in unserer wingeschützten Felsnische, da geschieht es - eine kleine Horde von Iltissen strömt wellenartig im Abstand von höchstens 2 Metern über meine Felsplatte. Ich zähle hinter Hochel etwa 5 etwas kleinere und dunklere Iltisse. Sie kommunizieren mit keckernden Lauten.

Zwei Jungtieren halten sich noch eine Weile in unserer Nähe auf, aus Neugierde scheint mir, die anderen hocheln weiter. Am nahen Uferstreifen kann ich sie noch lange beobachten, wie sie den Tang durchstöbern. Haben sie etwas gefunden, verstecken sie sich unter einem Felsen und fressen. Interessant, sie beachten offensichtlich Gefahr aus der Luft - Möwen, Adler und andere Raubvögel. Sogar vor den zeternden Küstenseeschwalben gehen sie in Deckung. Iltisse sind schlau und gelehrig. Ich nehme an, Hochel weiß genau, dass die Seeschwalben ihm nichts tun, dass ihr gelegentlich hektisches Auftreten in kleinen Gruppen aber einen Raubvogel wie den Adler tarnen könnte.

Iltis Magnify
Hochels Bau mit mehreren Ausgängen

Viele Verhaltensweisen die ich beobachte finde ich zunächst merkwürdig oder gar unverständlich. Aber sie sind nicht willkürlich, sondern haben stets einen Zweck, über den es sich lohnt nachzudenken. Manchmal komme ich darauf und habe ein Erfolgserlebnis. Die Beobachtung, das der Iltis Fische fängt und wegschleppt, führte zu der Vermutung er habe Junge, was sich später bestätigte. Auch sein sich wegducken vor den an sich harmlosen Seeschwalben ist denkwürdig. Aus Beobachtungen anderer Tiereltern weiß ich, dass Raubtiere unachtsame und laute Momente nutzen um zuzuschlagen, sicher ist es auch hier so.

Die Gruppe der Iltisjungen trat zunächst mit dem Muttertier geschlossen auf, als sie unser Lager passierte und zerstreute sich später. Ich nehme an, dass Hochel seinen Kleinen etwas zeigen wollte und sie zur Gemeinsamkeit aufforderte: "Schaut euch diese Zweibeiner einmal an, sie scheinen harmlos zu sein, darum werfen wir ein Auge auf sie.". Vielleicht war es auch eine Provokation mit dem Ziel dem Nachwuchs die Wirkung des Einsatzes der Stinkdrüsen zu demonstrieren.

Iltisse haben stets gleiche Pfade durch ihr Revier und lassen sich offensichtlich auch nicht von Störungen von Ihnen abbringen. Vielleicht ist das, so wie die Tagaktivität, nur eine Eigenart der lokalen Rasse.

Anna findet Hochel so "süüüß". Sie möchte am liebsten auch so einen kleinen Kerl haben. Sie ahnt nicht, dass Iltisse Meisterstinker sind und mißverstandene Zärtlichkeiten zu tagelanger Einsamkeit führen, wenn der Iltis seine Drüsenkünste vorführt.

Schwimmen

Wir schwimmen bei jeder Gelegenheit. 8x am Tag oder so. Je heißer, desto öfter. In der zweiten Woche schwimmen wir immer größere Strecken von Felsen zu Felsen. Immer 50 bis 200m, dann auf einem Felsen etwas kraxeln, der Aufstieg an steilen Stellen ist eine kleine Herausforderung. Schließlich etwas in der heißen Sonne aufheizen, wieder reinspringen und zur nächsten Schäre schwimmen. Wir sind nackt unterwegs. Man begegnet selten anderen Menschen, aber wenn, nehmen wir, wie die Schweden auch, bei aller Freiheit doch stets Rücksicht auf die Privatsphäre des Anderen, der i.d.R. auch die Einsamkeit genießt.

Anna
Das türkisfarbene Wasser lockt ständig zum Baden, es hat sensationelle 20°

Töchterchen ist immer fröhlich und plappert auch beim Schwimmen alles Mögliche und juxt herum, spritzt mich nass oder macht tauchend den weißen Wal. Einmal wird es mir zu viel und ich ziehe einfach mit kräftigen Zügen ein paar Minuten durch, flach auf dem Wasser liegend, weit durchholend und tief durchatmend. Komischerweise höre ich sie nicht hinterherrufen und es tut mir etwas leid. Plötzlich höre ich neben mir ein Stimmchen "Papawarumschwimmst...dueigentlichsoschnell?".

Mist. Ich kann ihr nicht mehr wegschwimmen. Sie hat Schwimmhäute entwickelt.

Anna
Ein häufiger Anblick - Anna entwickelt Schwimmhäute

Wo möglich springen wir von Felsen direkt ins Wasser. Vor dem Zelt geht es seicht ins Wasser und Blasentang wächst die ersten 10 Meter. Zunächst meiden wir Algen und Tang, aber im Laufe der Zeit macht uns der Bewuchs immer weniger aus. Wir gewöhnen uns an das Naturgewässer und meiden nur Luvküsten mit gelegentlicher Algenblüte.

Expedition

Expedition
Die Expeditionsteilnehmer

Um das Naturerlebnis für Anna intensiver zu gestalten, plane ich eine "Expedition" in das Inselinnere, welches ich ihr mit geheimnisvollen Andeutungen und Hinweisen auf Gefahren und Fährnisse beschrieben habe.

Wir statten uns aus in der grünen Hölle zu überstehen, trotz Dornen, Zecken und Hitze. Ausnahmsweise festem Schuhwerk, die Beinen mit Autan, mit Hut und Plastikjacke vorbereitet machen wir uns auf den Weg der an Hochels Bau vorbeiführt, den ich zuvor bereits zufällig entdeckt hatte als der Hauptmieter ihn gerade betrat.

Der erste Bereich ist trocken, waldig mit hohen Erlen und lichten Stellen an denen sich Rehe aufhalten. Hier schauen wir ständig nach Zecken, und entdecken auch einige. Der Waldboden ist torfig und trocken. Es gibt Farne, umgestürzte Bäume und Spinnennetze.

Diashow - klicke auf ein Foto und lies die Texte unter den Bildern


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Die 50 Hektar große Insel wird von Nordosten durch eine tiefe Bucht eingeschnürt, die in einen Sumpf und einen Teich mit dichten Schilfbeständen übergeht. Auf der Südwestseite ist dieser Bereich vom Meer durch eine hohe Klippe abgetrennt. Der Teich ist wunderschön und es gibt sogar Seerosen. Überall summen Insekten, Libellen schießen durch die Luft und Wasserläufer suchen die Wasseroberfläche nach Opfern ab. Es ist hier trotz der anhaltenden Wärme und Trockenheit dschungelartig feucht und grün. Eine unpassierbare Schilfzone reicht bis zu den Küstenklippen.

Über einige Felsstufen gelangen wir auf das "Hochland" des Südostens der Insel. Zwischen den Koniferen scheint in der Tiefe das türkise Meer durch. Die Hitze wird von den Felsen zurückgestrahlt wo sie nicht von trockenen Rentierflechten bedeckt sind. Einige Kiefern sind umgestürzt und haben ihre flachen Wurzelstöcke hochgerissen. Viele wachsen einfach aus der Horizontalen weiter.

Auf einigen dieser "Hochlandfelsen" liegen Schalen von großen Eiern. Sie müssen von Gänsen stammen, denn kleinere Vögel könnten sich nicht gegen die Räuber der Insel wehren. Die Seevögel nisten weiter draußen auf kahlen Felsen, wo es keine Iltisse oder Füchse gibt.

Wir beenden unsere kleine Expedition mit einem Sprung von der Klippe ins kühle Meer.

Weiße Nächte

...sind es am 12.7. am 58ten Breitengrad zwar nicht mehr, aber man sieht um Mitternacht noch den Sonnenuntergang im Norden. Für die Aufnahme krieche ich aus dem warmen und gemütlichen Bett und krame verschlafen die Spiegelreflexkamera heraus.

Leuchtende Nachtwolken Magnify
Leuchtende Nachtwolken

Es lohnt sich! Ich dokumentieren nicht nur den Mitternachtshorizont sondern erwische eine besondere Himmelserscheinung, die man bevorzugt in diesen Nächten beobachten kann - die Leuchtenden Nachtwolken.

Die Wolken unseres Wettergeschehens befinden sich in der sog. Troposphäre, die bis 13 km Höhe reicht.

Leuchtende Nachtwolken erscheinen in einer Höhe von 83 km, in der Mesopause wo die Erdatmosphäre das Temperaturminimum von -140°C hat.

Die Wolken sind Eiskristalle, die sich vermutlich am Staub von Meteoriten als Kristallisationskeim bilden. Sie werden von der hinter dem Horizont stehende Sonne von unten beleuchtet. Die dazu notwendige Konstellation entsteht zu dieser Jahreszeit.


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